Führung in der Krise – Wie Sie selbst stark bleiben, wenn alles unsicher scheint

Führung in der Krise | NADJA HENRICH

Was früher die Ausnahme war, gehört heute zum Alltag: Phasen von Veränderungen und permanente Umbrüche. Oft scheint es so, dass sie nicht einmal mehr ein klares Anfangs- und Enddatum haben. Kaum ist eine Herausforderung gemeistert, kündigt sich die nächste an. Und mittendrin stehen Führungskräfte, von denen erwartet wird, dass sie Orientierung geben, Sicherheit ausstrahlen, das Team zusammenhalten und Entscheidungen treffen. In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Führung in der Krise gelingt, ohne dass Sie selbst den Halt verlieren. Dafür möchte ich Ihnen die wichtigsten Schlüsselkompetenzen nahebringen, damit das gelingen kann: Klarheit, innere Stabilität und Resilienz.

Lesedauer: 3 Minuten

Der „Krisenmodus“ ist das neue Normal

Unternehmen müssen heute mit großen Herausforderungen umgehen. Sie stehen aufgrund des zunehmenden weltweiten Wettbewerbs unter massivem Kosten- und Effizienzdruck, müssen Personal abbauen obwohl an anderer Stelle Fachkräftemangel vorherrscht, bewältigen teils komplexe technologische Transformationen und sehen sich mit einem tiefgreifenden Wertewandel konfrontiert, der großen Einfluss auf Unternehmensprozesse und -kultur nimmt.

Für Führungskräfte bedeutet das, dass stabile Rahmenbedingungen zur Ausnahme werden. Denn Führung in der BANI-Welt erfolgt nach ganz eigenen Regeln. Hier sind Anpassungsfähigkeit sowie ein proaktiver Umgang mit Veränderungen gefragt.

 

Der Erwartungsdruck gegenüber Führungskräften steigt

Was heute von Führungskräften erwartet wird, ist enorm. Sie sollen Sicherheit geben, auch wenn die Umstände unsicher ist. Sie sollen Verantwortung übernehmen, auch wenn die Entscheidungen nicht von ihnen selbst kommen. Sie sollen Veränderungen umsetzen, die sie selbst kaum beeinflussen können. Kurzum: Sie sollen stabilisieren, auch wenn alles um sie herum wackelt.

Viele Führungskräfte geraten dabei in einen paradoxen Zustand: Sie sollen vermitteln, motivieren und organisieren. Gleichzeitig stehen sie permanent vor der Herausforderung, ihre eigene Daseinsberechtigung unter Beweis zu stellen. Dieser Druck hinterlässt Spuren. Die häufigsten Anzeichen sind innere Erschöpfung, ein Verlust der eigenen Führungsidentität und zunehmende emotionale Isolation.

Ich selbst war in meiner Zeit als Mitarbeiterin und Führungskraft mehrfach direkt mit Restrukturierungen konfrontiert, habe Kündigungen ausgesprochen, Teammitglieder und Kollegen verloren, gespürt, wie tief diese Prozesse greifen. Ich war zwar nicht selbst betroffen, aber unmittelbar involviert. Was mir in diesen Momenten geholfen hat, war eine Mischung aus Empathie und Klarheit. Denn Führung in der Krise heißt für mich: Verantwortung tragen, Haltung zeigen, menschlich bleiben. Auch wenn Antworten auf viele offene Fragen fehlen.

 

Das klassische Führungsbild ist längst überholt

Vermutlich ist das für Sie keine neue Botschaft, aber das Ideal vom allwissenden Leader mit kühlem Kopf und harter Hand hat ausgedient. Führung in der Krise bringt neue Anforderungen mit sich. Die Erwartungen haben sich verschoben. Führungskräfte haben sich in der Idealvorstellung von reinen Entscheidern zu Ermöglichern und von Top-down-Steuerern zu Kulturträgern entwickelt.

Heute zählen folgerichtig andere Kompetenzen, beispielsweise:

  • Emotionale Intelligenz – Denn Menschen, die emotional führen, sind nicht nur authentischer, sie sind auch erfolgreicher, da sie ihr Team auf einer anderen Ebene erreichen.
  • Authentizität – Wer sagt „Ich weiß es nicht, aber ich bleibe mit euch dran“, wirkt glaubwürdig. Das kann im Team mehr Effekte hervorrufen als jeder Hochglanzplan.
  • Vertrauen – Wer spürbar für das einsteht, was er oder sie vertritt, nimmt sein Team mit. Selbst dann, wenn sofortige Lösungen noch nicht gefunden sind (siehe Vertrauen, die unsichtbare Superkraft).
  • Kommunikation auf Augenhöhe – In schwierigen Zeiten wollen Mitarbeitende nicht beschwichtigt, sondern ernst genommen werden.

Als „moderne“ Führungskraft wirken Sie also durch Präsenz und weniger durch Kontrolle. Im Zentrum stehen Beziehungskompetenz und Authentizität, nicht eine größtmögliche Durchsetzungskraft oder Perfektion. Dabei ist wichtig, im richtigen Tempo zu führen, damit alle im Team mitgenommen werden.

 

Was Teams brauchen und was Sie als Führungskraft geben können

Ihr Team merkt, wenn es keine wirklichen Erholungsphasen mehr gibt und Daueranforderung zum Normalzustand wird. Damit es trotzdem weiter funktioniert, benötigt es Ihre Fähigkeit zur Führung in der Krise.

Was Ihre Mitarbeitenden vor allem brauchen:

  • Orientierung und Sicherheit – Auch wenn nicht alle Antworten da sind, brauchen Teams ein „Wir schaffen das gemeinsam“-Gefühl.
  • Kommunikation und Einbindung – Nur informiert zu werden, bewirkt ein Gefühl der Machtlosigkeit. Anders ist das, wenn Sie Ihr Team zur Beteiligung und zum Mitdenken anregen.
  • Entlastung und Anerkennung – Dauerkrise bedeutet Dauerstress. Umso wertvoller sind schon kleine Pausen, die Sie Ihrem Team einräumen und Wertschätzung, Wertschätzung und nochmals Wertschätzung.

Was Sie als Führungskraft dafür tun können?

  • Öffnen Sie Räume für echtes Zuhören (siehe Warum kluge Führungskräfte mehr fragen sollten)
  • Teilen Sie das Wieso (Wieso verändern wir das? Was bleibt uns wichtig?)
  • Setzen Sie Rituale zur Klarheit (z. B. tägliche oder wöchentliche kurze Updates).
  • Fördern Sie psychologische Sicherheit (Machen Sie Ihrem Team klar, dass Fehler erlaubt sind, gerade in der Dauerkrise.)

Unter dem Strich geht es um Verlässlichkeit. Menschen können Unsicherheit besser tragen und ertragen, wenn sie wissen, auf wen sie sich verlassen können. Und das sind in erster Linie Sie als ihre Führungskraft.

 

Was Sie als Führungskraft selbst benötigen

Nicht nur Ihre Mitarbeitenden haben in Phasen von Dauerbelastung Bedürfnisse. Führen in der Krise heißt für Führungskräfte mental stark zu sein und gleichzeitig menschlich zu bleiben. Sie sind der berühmte Leuchtturm, der ihrem Team Orientierung gibt. Doch der benötigt selbst gewisse „Wartungszyklen“. Denn wer immer nur für andere leuchtet, brennt aus. Deshalb benötigen auch Sie Räume zur Erholung sowie Rituale und Ressourcen, um sich selbst zu stabilisieren.

Ganz konkret bedeutet das:

  • Blocken Sie Zeit für sich.
  • Tauschen Sie sich aus.
  • Lernen Sie bewusstes Nichtstun, denn nicht jeder Impuls verlangt eine sofortige Reaktion.

Folgende Reflexionsfragen möchte ich Ihnen deshalb mitgeben, die Ihre eigene Resilienz stärken:

  • Wann war ich zuletzt wirklich präsent und nicht im reinen Funktionsmodus?
  • Wo trage ich gerade Verantwortung, die mir nicht gehört?
  • Was kann ich loslassen, auch wenn es weh tut?
  • Wen habe ich, mit dem ich ehrlich sprechen kann?
  • Welche kleinen Rituale geben mir täglich/wöchentlich Kraft?

 

Handlungsempfehlungen zur Erhöhung der eigenen Wirksamkeit

Standort bestimmen:

  • Fragen Sie im Team: „Was ist gerade unsere größte Unsicherheit?“
  • Reflektieren Sie selbst: „Was belastet mich, was gebe ich weiter?“

Kommunikations-Rhythmus einführen:

  • Wöchentlicher 15-Minuten-Check-in: „Was bewegt uns?“
  • Auch über Nicht-Wissen sprechen: „Ich habe noch keine Antwort, aber ich halte euch auf dem Laufenden.“

Psychologische Sicherheit geben:

  • Persönliche Worte statt E-Mails
  • Kleine Erfolge sichtbar machen
  • Fehler als Lernchance benennen

Die eigene Energie schützen:

  • „No-Meeting-Zone“ einführen
  • 30-Minuten-Reflexion pro Woche blocken
  • Regelmäßiger Austausch mit anderen Führungskräften
  • Eigene „Tankstellen“ wie z. B. Sport, Zeit in der Natur, etc. konsequent nutzen

 

Fazit: Die neue Stärke heißt Anpassungsfähigkeit

In einer Zeit, in der es keine fertigen Lösungen mehr gibt, wird Ihre Fähigkeit zur inneren Klarheit, zum echten Dialog und zur aktiven Selbstführung eine entscheidende Kompetenz.

Es geht nicht darum, unerschütterlich zu sein, sondern beweglich zu bleiben. Um im Bild zu bleiben: Sie sind nicht der Fels in der Brandung, denn der kann Schiffen auch gefährlich werden. Sie sind der Leuchtturm, der sich in die richtige Richtung dreht und anderen Orientierung gibt.

Führung in der Krise bedeutet vor allem, Vertrauen zu stärken, Sicherheit zu geben, authentisch zu kommunizieren, offen mit den eigenen Limitierungen umzugehen und sowohl das Team als auch sich selbst zu schützen. Führung in der Krise bedeutet, die richtigen Fragen zu stellen und nicht, auf alles eine Antwort zu haben. Wenn Sie das erkennen, dann ist das Fundament für mehr Klarheit und Vertrauen in sich selbst gelegt.

Um dahin zu gelangen, benötigen Sie die Bereitschaft und den Mut zur Selbstreflexion. Ein paar Fragen habe ich Ihnen dazu bereits mit auf den Weg gegeben. Wenn Sie mehr benötigen oder eine unabhängige Sparringspartnerin für den weiteren Austausch wünschen, dann melden Sie sich gerne jederzeit.